Statements sind die unausweichlichen Standpunkte, von denen aus ein Thema betrachtet werden kann oder muss. Keinen Stanpunkt haben geht nicht. Wer keinen Standpunkt einnimmt hat schon einen … ;) Folglich nutzen wir die vielen verschiedenen Standpunkte, die eine Klasse oder gar eine ganze Schule zu bieten hat, um aus einem Thema oder einer Frage einen sozusagen dreidimensionalen Gegenstand zu machen, buchstäblich ein Hologramm. – Hier sind Statements also die EInladung an andere ihre Sicht der Dinge darzustellen. Sachlich und begründet. …
Was das bedeutet? – Wir sind nicht mehr alleine, sondern vernetzen uns mit über 2500 anderen Schulen, die nicht nur Wissen vermitteln wollen, sondern für eine bessere Welt lernen und arbeiten.
Noch laufen die Unterschriften-Listen durch die Klassen. Denn mindestens 70% der Mitglieder einer Schule müssen die Initiative mittragen:
Hinter diesem Netzwerk steckt nicht nur eine Idee, sondern auch die Absicht, in Zukunft dafür zu sorgen, dass alle gut miteinander leben können. – Da kommt Arbeit auf uns zu. Und sicherlich das eine oder andere gute Projekt.
Das Erkennungszeichen der „Schulen ohne Rassismus“ ist dem einen oder der anderen sicherlich schon begegnet:
2015: Flüchtlingswellen in Europa, Anschläge in Paris und der Türkei. 2016 noch mehr Anschläge, noch mehr Flüchtlinge, verhinderte Anschläge in Deutschland und das leise hochkriechende Gefühl von Angst und Ohnmacht:
Wie lange kann und muss man eigentlich tolerant sein, bevor man sich selbst verliert? – Was ist Toleranz überhaupt? Eigentlich könnten wir uns doch einmal damit befassen!
Und schon lief im Frühjahr 2016 an der Andreas-Albert-Schule ein neues Projekt auf Hochtouren.
16 junge Männer zwischen 17 und 23 Jahren: Industriemechaniker, 2. Lehrjahr. Nahezu alle mit Migrationshintergrund. Nicht einmal alle hier geboren. Aber mit dem sicheren Gefühl, dass es Zeit wird über Werte genauer nachzudenken. – Toleranz ist ein Wert.Da waren sich alle von vornherein sicher. Und auch, dass es allemal gut ist dafür zu kämpfen. Aber warum das so ist und ab wann Toleranz verteidigt werden muss, dafür wollten sie klare Antworten und Linien!
Standpunktewurden gesammelt, Fragen auf Vorrat gespeichert, Vorverständnisse sichtbar gemacht, gemeinsam wurde ein Arbeitsplan erstellt, Aufgaben wurden verteilt. Und dann war da die Frage, wofür der ganze Aufwand und für wen?
Das Statement des Schulleiters Thomas Kramer zur Bedeutung von Toleranz in der Andreas-Albert-Schule. Und ab wann er Grenzen von Toleranz beachten muss, damit Vielfalt in der Schule funktioniert …
Die Klassensprecher und Moderatoren der Diskussion: Christopher und Marcel
Was auf dem Weg dahin entdeckt wurde, waren
die Wichtigkeit eigener Fragen,
die jahrhunderte lange Wandlung eines Begriffes, den man bis dahin für „immer schon so“ hielt,
die Bedingungen, die es erst vielen verschiedenen Menschen mit vielen verschiedenen Einstellungen ermöglicht in einer Gesellschaft zu leben,
die Normen und Regeln, die einen Wert – und besonders diesen Wert – sichtbar und lebbar machen,
eine UNESCO-Erklärung, und …
Und es gab die gewünschten Antworten. Regelrechte Ergebnisse.
Einen Bauplan:
Ablehnung. Wenn wir etwas tolerieren, dann haben wir zuvor einen Unterschied entdeckt, den wir für uns nicht akzeptieren können. Eine Meinung, eine Gewohnheit oder Ähnliches.
Wir nennen dann Gründe, warum etwas, das wir als falsch oder schlecht betrachten, dennoch geduldet werden soll. Akzeptanzgründe wiegen zwar schwerer als Ablehnungsgründe. Aber die beiden heben sich nicht gegenseitig auf, sondern stehennebeneinander.
Erneute Zurückweisung (Grenzen von Toleranz). Diese Zurückweisungsgründe müssen noch schwerwiegender als die ersten Ablehnungsgründe sein! Und sie müssen allgemein gelten: Jeder sieht sie ein. Das Ziel: Erhalt der Toleranz.
Bleibt diese Herausforderung …
Diese drei Komponenten müssen in der Balance gehalten werden. Das geht nur durch ständiges im Gespräch bleiben
… und eine neue Frage: Wer muss dann hier mit wem im Gespräch bleiben?
Eine Hitliste.
1.
Etwas zu tolerieren heißt noch lange nicht, es gut zu finden oder stehen zu lassen.
2.
Wer nach Toleranz schreit, muss auch Toleranz geben.
3.
Toleranz wird dann zum Problem, wenn einer meint, seine Meinung sei die einzig wahre.
è Woran orientieren wir uns dann? Es muss doch eine Richtung geben, oder?!
4.
Toleranz allein funktioniert nicht.
Toleranz braucht Co-Werte. Neben Gerechtigkeit braucht es u.a. auch Respekt und Achtsamkeit. Für den anderen und für sich selbst!
5.
Toleranz dient dem sozialen Frieden.
6.
Toleranz kann eigentlich nur von denen durchgehalten werden, denen Gerechtigkeit wichtig ist!
Aber was ist „gerecht“?
7.
Wie Toleranz auszusehen hat, muss immer wieder neu diskutiert und besprochen werden. (= diskursiver Wert)
Doch ohne Kompromisse wird es nicht gehen.
Aber: wie können, dürfen, müssen die aussehen?
8.
Toleranz ist ein Wert, der allen ein gutes Leben ermöglicht.
Werte sind Ideen in unseren Köpfen. Deshalb braucht es sichtbare und funktionierende Regeln/Normen, die Toleranz wirk-sam machen.
Aber: Wer bestimmt, welche Regeln Toleranz wirksam machen?
9.
Toleranz in der Technik meint: Bestimmte Abweichungen werden bis zu einem gewissen Grad hingenommen.
Und ab wann sagt der Techniker „Nein“ zur Abweichung?
10.
Toleranz kann man weder diktieren, noch kann man sie erlauben. Sie kann nur aus der Einsicht der Menschen einer Gesellschaft heraus funktionieren.
Und … … Regeln!
Die Gründe für tolerantes Verhalten müssen immer für alle Seiten einsichtig und mittragbar sein.
Niemand darf vom anderen fordern, was er selbst nicht einhält (Reziprozität)
Niemand darf einem anderen verwehren, was er selbst für sich in Anspruch nimmt.
Freiheitsregeln müssen immer unter allen Betroffenen teilbar sein.
Niemand darf dem anderen seine eigenen Wertvorstellungen unterjubeln (auch nicht, wenn es um „höhere Wahrheiten“ geht. Denn sie können in der Regel nicht miteinander geteilt werden).
Da war es nun, das Wissen, … … was Toleranz ist, … wie Toleranz funktioniert, … wann Toleranz ein Ende hat und … was wir tun müssen, damit sie am Leben bleibt.
Was das alles mit Identität zu tun hat?
… Wer nicht weiß, WER er ist, erträgt nur schwer, wenn jemand JEMAND ist. Umgekehrt: … Wer weiß, WER er ist, kann andere JEMAND sein lassen.
Aaaalso:
!!! WER SIND WIR? Und !!! Was bestimmt, wer wir sind?
„Im Namen der Toleranz sollten wir uns das Recht vorbehalten, die Intoleranz nicht zu tolerieren.“
Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde
Das Thema „Toleranz“ und die Angst, sich nicht rechtzeitig vor dem Verlust der eigenen Identität zu schützen, beschäftigte eine unserer Industrie-Klassen fast ein halbes Jahr. Sie sammelten Material. Viel Material … Unter anderem entdeckten sie dieses Zitat und ein Statement meines Pfarrers-Kollegen Carsten Leinhäuser (Bistum Speyer).
Das Zitat gab die Sicherheit nichts „Falsches“ zu denken. Der Artikel Pfarrer Leinhäusers gab uns eine Suchrichtung. Wir haben ihn Euch hier verlinkt:
Ihr findet den Artikel in dem Themenheft Kontakt (Heft 1 / 2015) des BDKJ Speyer, gleich auf der zweiten Seite. Dieses Heft beschäftigte sich ausführlich mit dem Thema Toleranz, unserer Sehnsucht danach und unseren Ängsten davor. – Fanden wir gut!
Was die Jungs bei ihrer Suche nach Toleranz herausgefunden haben, findet Ihr übrigens HIER . – Es ist einiges!
Carsten Leinhäuser findet ihr übrigens auch im Internet. Er hat einen eigenen Blog: www.vaticarsten.de Da finden sich noch mehr Statements zu Themen, die gerade unter die Haut gehen.
Was das alles mit Religion zu tun hat? Hier ein Video, das es ganz gut erklärt.
Für Leute, die wissen wollen, wo sie in der Toleranz-Sache stehen:
Und nun viel Spass beim Mit-Nachdenken! Wir sind gespannt.
Auf eure Gedanken, Standpunkte und Ideen!